Aktivierungsleistung bei atmosphärischen Plasmasystemen
In diesem Beitrag möchten wir zeigen, dass eine vergleichende Bewertung von verschiedenen Oberflächenbehandlungsmethoden mit einfachen Mitteln durchgeführt werden kann. Das Ergebnis lässt sich unmittelbar auf die Praxis übertragen und liefert als quantitativ messbares Resultat die Fläche, die pro Zeiteinheit auf eine gewünschte Oberflächenenergie gebracht werden kann.
Einleitung
Die Oberflächenenergie ist die Energie pro Flächeneinheit in J/m², die zur Vergrößerung der Obefläche eines Festkörpers oder einer Flüssigkeit aufgebracht werden muss.
Bei der äquivalenten mechanischen Interpretation spricht man auch von einer Oberflächenspannung in N/m; damit wird die Oberflächenspannung definiert als die Arbeit, die zu verrichten ist, um die Fläche eines Flüssigkeitsfilms zu vergrößern.
Trifft ein Flüssigkeitstropfen auf eine Festkörperoberfläche, auf der zusätzlich anziehende Kräfte zwischen Festkörper und Flüssigkeit wirken (Adhäsion), weicht der Tropfen von der kugelförmigen Gestalt ab und benetzt die Festkörperoberfläche. Die Abweichung von der Kugelform und damit die Benetzung ist umso ausgeprägter, je stärker die Adhäsion zwischen Festkörper und Flüssigkeit ist.
Daraus ergibt sich die Möglichkeit, aus dem Kontaktwinkel über die Young’sche Gleichung die Oberflächenenergie des Festkörpers zu berechnen (Good, 1993).
Methode des liegenden Tropfens
Die Oberflächenenergie des Festkörpers ist eine wichtige Eigenschaft, die die Benutzbarkeit, die Haftungseigenschaften und die homogene Lackierbarkeit einer Oberfläche bestimmt. Eine Abweichung von den materialtypischen Werten kann auch auf eine u. U. nicht sichtbare Verschmutzung wie z.B. einen Fettfilm hinweisen. Ein besonders einfaches System zur Bestimmung der Oberflächenenergie ist, das Spreiten von verschieden gefärbten Testflüssigkeiten (Testtinten) qualitativ zu bewerten. Dabei kann auf eine genaue Analyse der Tropfengeometrie verzichtet werden. Ist die Oberflächenenergie der Flüssigkeit gleich der des benetzten Festkörpers, strebt der Kontaktwinkel gegen Null und die Flüssigkeit kann einen stabilen dünnen Film auf der Oberfläche ausbilden. Die Oberflächenenergie des Festkörpers liegt dann in erster Näherung zwischen der Oberflächenenergie der Flüssigkeit, die gerade gut benetzt, und der Flüssigkeit, die gerade nicht mehr gut benetzt.
Atmosphärische Plasmabehandlung ist eine gängige und etablierte Methode zur Feinreinigung und Aktivierung von Oberflächen. Einer der angestrebten Effekte ist eine Erhöhung der Oberflächenenergie (Liebermann & Lichtenberg, 2005).
Bei Polymeren und Verbundwerkstoffen kann eine solche Aktivierung mit einem Atmosphärendruck-Plasma die effizienteste Methode und bei Betrieb mit Druckluft kostengünstig und kompatibel mit praktisch jedem Serienprozess sein.
Es müssen keine nasschemischen Primer eingesetzt werden, was die Funktionalisierung mit atmosphärischem Plasma besonders umweltfreundlich und materialschonend macht. In nur einem Prozessschritt werden Feinreinigung, Ausgleich der statischen Oberflächenladung und Funktionalisierung erreicht.
Natürlich liegt es im Interesse des Anwenders, die Leistung von verschiedenen Plasmasystemen, Beflammungsanlagen oder Corona-Behandlungen vergleichen zu können, um die optimale Oberflächenbehandlung für das gewünschte Prozessresultat auszuwählen. Im Folgenden ist eine einfache Methode definiert, welche es ermöglicht, die Aktivierungsleistung objektiv zu bestimmen. Das Verfahren wird durch den praktischen Vergleich von zwei verschiedenartigen atmosphärischen Plasmasystemen erläutert.
Atmosphärische Plasmadüsen zur Oberflächenbehandlung
Die vielfach verbreitete Methode, einen hochreaktiven Plasmastrahl bei Atmosphärendruck und typischerweise mit Luft zu erzeugen, gelingt, wenn aus einer heißen Entladungszone ein konzentrierter Strahl ausgetragen wird, der alle oberflächenaktiven Spezies enthält und nach Möglichkeit in Summe elektrisch neutral ist.
Plasmabrush® Plasmasystem, bestehend aus Hochspannungsquelle (PS2000) und Plasmaerzeuger (PB3). Optimiert für hohe Leistungen und den Einbau in Fertigungsanlagen mit hohem Durchsatz.
Die Wirkung der Plasmabehandlung auf die Oberfläche ist thermischer, chemischer und elektrischer Natur und hängt von den eingestellten Prozessparametern ab. Dabei spielen Arbeitsabstand, Art des Prozessgases, eingestellte Anregungsleistung und Bearbeitungsgeschwindigkeit eine wichtige Rolle, aber auch die Eigenschaften des Substrates.
Piezoelektrischer Plasmagenerator
Bei der piezoelektrischen direkten Entladung (PDD®, Piezoelectric Direct Discharge) kann ein Plasma direkt an einem piezoelektrischen Kristall gezündet werden. Ähnlich wie bei einer stillen elektrischen Entladung (DBD: dielectric barrier discharge) kommt es bei ausreichend hohen oszillierenden Feldstärken zu einer kalten atmosphärischen Entladung und einer Ionisation des umgebenden Gases. Plasmageneratoren in Piezotechnik gehören zu den effizientesten Verfahren, oberflächenaktive Spezies zu erzeugen.
Brennverhalten des Piezobrush® PZ2 mit verschiedenen Düsenaufsätzen. Für die vorgestellte Messung wurde die erste Düsenvariante (Bild links) gewählt.
Messmethode
Die Aktivierungsleistung sei definiert als die Veränderung der Oberflächenenergie eines gegebenen Objektes nach einer bekannten Zeit (Exposition). Richtet man einen Plasmajet oder eine Flamme auf eine Oberfläche, so entsteht eine räumliche Verteilung der Oberflächenenergie. Diese Aktivierungsleistung kann also als eine Art Fingerabdruck eines Oberflächenaktivierungsprozesses verstanden werden.
Schematische Darstellung der Oberflächenenergie in einer Dimension. Exemplarisch sind drei Schnitte bei unterschiedlichen Energien E1, E2, E3 angedeutet.
Bei der Messung der Aktivierungsleistung treten dabei praktisch einige Probleme auf, da bei Erhöhung der Behandlungsdauer Sättigungseffekte auftreten können und die räumliche Verteilung inhomogen sein kann.
Für die Aufnahme eines „Fingerabdruckes“ der Oberflächenaktivierung werden beispielsweise drei Testflüssigkeiten mit unterschiedlichen Oberflächenenergien (E1, E2, E3) gewählt. Die Oberfläche wird einer statischen Plasmaaktivierung für eine definierte Zeit ausgesetzt, in etwa so lange, dass die Testflüssigkeit mit der schlechtesten Benetzbarkeit (also mit der höchsten Oberflächenenergie) bereits auf einer kleinen Teilfläche benetzt.
Die Auswertung erfolgt nun einfach durch eine Flächenbewertung für jede der benutzten Testflüssigkeiten. Bezogen auf die Oberflächenenergie des Substrates im Ausgangszustand wird zum einen gewichtet, wie groß die Veränderung der Oberflächenenergie ist, zum anderen, wie groß die Fläche ist, die von der Flüssigkeit benetzt werden konnte.
ΔEOF=(γ1-γ0)*A1+(γ1-γ0)*(A2-A1)+(γ1-γ0)*(A3-A2)+…(in Joule)
Die Aktivierungsleistung (in Watt) ergibt sich nun einfach durch Berücksichtigung der Anwendungszeit.
ΔPOF=Eof/Δt(in Watt)
Ergebnis
Ein typisches Kunststoffsubstrat wurde exemplarisch mit einem atmosphärischen Plasmasystem der 1KW-Leistungsklasse (Plasmabrush®: rotierender Lichtbogen in PAA®-Technologie) und einem kalten Plasmasystem der 10W-Klasse (Piezobrush® in PDD®-Technologie) behandelt.
Der Kunststoff ABS mit einer initialen Oberflächenenergie von 41mJ/m2 (entsprechend 41mN/m) wurde nach der Behandlung mit drei verschiedenen Testtinten bestrichen und die benetzten Flächen anschließend gemessen.
Probekörper (50mm x 50mm ABS), benetzt mit verschiedenen Testflüssigkeiten. Angegeben sind die jeweils benetzten Flächen. Die obere Bildserie illustriert das Ergebnis nach einer Behandlung von 0,5s (Puls) mit dem Plasmabrush®-System bei hoher Leistung. Die untere Serie zeigt das Benetzungsverhalten der verschiedenen Testtinten nach 0,25s (Puls) Expositionsdauer.
„Fingerabdruck“ des Piezobrush PZ2 Plasma-Handgerätes auf einem 50mm x 50mm ABS Probekörper nach 3s Behandlungszeit. Testtinten mit den angegeben Oberflächenspannungen wurden verwendet.
Für das ABS-Substrat ergibt sich nach einer Plasmabehandlung mit dem Plasmabrush® PB3 nach 0,25s eine Änderung der Oberflächenenergie um 6,2 μJ und nach 0,5 s eine Änderung der Oberflächenenergie um 6,9 μJ. Die Werte zeigen, dass die Aktivierungsleistung in den ersten 0,25 s ca. 25μW entspricht und dann abfällt. Bei einer Exposition von 0,5s ergibt sich eine mittlere Aktivierungsleistung von ca. 15μJ. Durch eine sehr grobe Betrachtung kann gefolgert werden, dass pro Quadratzentimeter Oberfläche ca. 1013 Oberflächengruppen chemisch funktional verändert werden.
Für gleichartige ABS-Proben kann mit dem handgeführten Plasmawerkzeug Piezobrush® PZ2 inner-halb von 3 Sekunden eine vergleichbare Wirkung erreicht werden. Die mittlere Aktivierungsleistung ist mit ca. 2μW nur etwa eine Größenordnung kleiner, obwohl die eingespeiste Leistung ca. zwei Größenordnungen kleiner ist.
Zwar erscheinen die erzielten Ergebnisse auf dem Papier möglicherweise wenig sensationell – Oberflächenaktivierungseffekte sind naturgemäß schwer zu bewerten und der Effekt von atmosphärischen Prozessen auf die Oberfläche ist energetisch sehr inneffizient. Ein Plasmasystem mit einer Eingangsleistung von 1kW führt unter Umständen nur zu einer mittleren Aktivierungsleistung von einigen Mikrowatt. Für die Praxis können die erzielten Effekte jedoch eine bedeutende Verbesserung erwirken, denn die relative Änderung der Oberflächenenergie kann beispielsweise für die Qualität einer kleben-den Verbindung absolut entscheidend sein.
Fazit
Mit einer einfachen Messung der Oberflächenenergie kann die Aktivierungsleistung einer Oberflächenbehandlung bewertet und in Zahlen angegeben werden. Die Messung kann dazu dienen, die Effizienz und Wirksamkeit von Oberflächenbehandlungsmethoden quantitativ über eine physikalisch definierte Größe (Aktivierungsleistung in Watt) zu vergleichen.
Literaturverzeichnis:
- Good, R. J. (1993). Contact Angle, Wetting and Adhesion: a Critical Review. Contact Angle, Wettability and Adhesion, S. 3-36.
- Liebermann, M. A., & Lichtenberg, A. (2005). Principles of Discharges and Materials Processing. New Jersey: Wiley.
Autor:
Dr. Stefan Nettesheim